Es hat ja niemand behauptet, die Deutschen hätten Geschmack. Schon, wenn man in der Geschichte ein bisschen zurückblickt, fällt einem ins designunverwöhnte Auge eine eindeutige Affinität zu komischen Klamottenkombinationen auf, die selbst die chinesische Copymafia bisher nicht dazu brachten, eine billig hergestellte Imitation eines deutschen Mallorca-Urlaubers auf die zollfreien Polenmärkte zu schmeißen. Und selbst der panflötende Pseudochilene vorm C&A sieht im Vergleich zu den vorbeihuschenden Vollschlanken in grell gemusterten 7/8-Leggins noch so aus, als ob er höchstpersönlich von Donatella Versace eingekleidet worden wäre. Glücklicherweise gibt es Schweden. Nicht, weil der ein oder andere Aussehkloppi nach einem Ausflug zu Ikea innovativ-kreativ „Billy“ zu mundgedrechselten Holzpantinen umfunktioniert hätte. Auch nicht, weil Schwedens Exportschlager geholfen hätte, sich derartiges Gevölk schön zu saufen. Nein, da hilft ABSOLUT nichts!
Außer ABBA, der Band, wegen deren Outfit das klinische Bild des Augenkrebses in die medizinische Ausbildung aufgenommen werden musste, verdanken wir diesem Völkchen aber auch H&M.
H&M ist eine tolle Sache, wenn man sich daran erinnern möchte, daß man a) noch keine 30 ist, Kleidergröße 34/36 trägt und ergo die Auswahl bei C&A auf Socken beschränkt bleiben wird und b) sich doch schon wieder zu alt für Orsay und Pimkie fühlt. Ich gebe zu, daß ich die untere Etage von H&M mittlerweile meide, möchte ich meine Kohle nicht für Klamotten auf den Kopf hauen, die mit sweeten Kirschen bedruckt und gleichzeitig so tief ausgeschnitten sind, daß man meine Schwangerschaftsstreifen an den Oberschenkeln sehen würde.
Ab und an geschieht es trotzdem, daß ich für bestimmte Sachen andere Geschäfte aufsuchen muss. Kürzlich zum Beispiel setzte ich mir in den Kopf, daß ich nur noch mit einem gepunkteten Haarreifen glücklich werden kann. Schon im Vorfeld durchfuhren mich mehrere Spontanorgasmen bei der Vorstellung, wie guuut ich damit aussehen würde. Ich bereite also zu Hause alles für einen Heiratsantrag an mich selbst vor, schulterte meine Tasche und begab mich auf den Weg in Geschäfte, in denen ich sonst nie einkaufe, von denen ich aber annahm, daß diese unter Garantie hippe Bravo-Girl-Tools führen würden. Fassen wir es kurz: Orsay und Pimkie, die beide in einer Einkaufspassage sind, hatten zu, weil umgebaut wird. Vor C&A hielten mich Bockwurst-Olaf und eine dort anstehende Schlange des üblichen C&A-Klientels auf. Mich verließ der Mut. Bei Xanaka störte mich die pervers gutgelaunte Verkäuferin enorm, auch weil ich mich kurz bemüßigt fühlte, sie auf die Gefährlichkeit von ausgedehnten Solariumsbesuchen unter 18 hinzuweisen. Mango, Esprit und Vero Moda fielen wegen des Angebots an sonst guten Klamotten sowieso flach, also was tun? Ich war verzweifelt, bis meine Augen eine neuen Laden erblickten, der schon wegen seines Namens eine Erfüllung meines Kaufwunsches versprach. FOREVER EIGHTEEN, so der Sinn gebende Schriftzug in augenfreundlichem ziemlich bunt. Ich schluckte sämtliche Animositäten herunter, ließ mich schnell von der Douglas-Promotante auf höchstens 20 schminken, kaufte mir bei New Yorker fix ein Tanktop mit nem Comic-Tigger drauf, zog den Gürtel raus und die Hose so weit runter, daß meine Buchse zu sehen war, besorgte mir bei Bijou Brigitt überdimensionierte Ohrringe und pimpte im Handy-Shop mein Telefon schlussendlich noch mit einem Klingelton von Bushido. Buffalos kamen nicht in Frage, dafür hätte ich noch durch die halbe Stadt gemusst. Aber ich beruhigte mich damit, daß man ja nicht ALLES nachmachen muss, was man so sieht...Gut gewappnet und noch besser getarnt betrat ich also den Laden. Als erstes musste ich feststellen, daß die Cancelung Vivas zugunsten irgendeines im Vergleich überhaupt nicht lustigen Comedy-Channels eine Scheißidee war, denn ich war musikalisch so was von draußen, daß ich noch nicht mal unterscheiden konnte, ob US 5 oder eine andere Band aus den Exkrementen der Plattenbosse meine Ohren vergewaltigte. Der Tarnung wegen wippte ich aber trotzdem mit dem Kopf. Wie gut, daß sich alles gleich anhört, dachte ich mir, als ich das atonale Gesinge eines kastrierten, am Sack definitiv noch unbehaarten Kleinmädchenschwarms vernahm. Manche Sachen ändern sich eben nie und schließlich wird man mit dem Alter ja auch immer unflexibler...
Nachdem ich mich durch eine handvoll spaghettiträgerbetoppte, verzahnspangte Tokio-Hotel-Fans am Drehkarrussel für Hipsterjeans mit Glitzer hinten drauf gekämpft hatte, flog mein Incognito auf. Die Verkäuferin sprach mich mit: „Kann ich IHNEN helfen?“ an. Verdammt!!! Ich überlegte und passte mich der neuen Situation an: „Ich suche für meine Tochter einen gepunkteten Haarreifen!“ Sie: „Wie alt ist denn Ihre Tochter?“. Es gab zwei Möglichkeiten. Entweder schätzte mich das knapp bekleidete Fashion-Victim vor mir auf soo alt, daß ich tatsächlich eine Teenagertochter habe, oder sie hatte mich durchschaut.
Ich grinste sie frech an, schließlich wollte ich einen gepunkteten Haarreifen und log frech: „12“.
Sie: „Huch, da sind sie ja eine junge Mutter!“
„Du süßer Vogel Jugend“, dachte ich mir, „da kann man noch frei Schnauze reden, ohne vorher nachzudenken...“
Ich: „Das täuscht. Ist genetisch bedingt. Aber man muss auch ein bisschen was tun. Ich zum Beispiel rauche nicht, esse kein Fleisch, gehe regelmäßig ins Fitnessstudio, schlafe viel und trinke keinen Alkohol.“
Sie: „Hach, ich wünschte, meine Mutter wär so cool und würde für mich geile Sachen einkaufen...“
Ich verließ den Laden ohne Haarreifen. Sie hatten keine. Und ich fühlte mich so schlecht,weil ich das junge Ding so verarscht habe, und sie doch eigentlich nur eines wollte:ne coole Mutter...Ich ging nach Hause und setzte mir den gepunkteten Haarreifen meiner Tochter auf - nachdem ich mir eine Zigarette angezündet und ein Glas Wein eingeschenkt hatte. Blätterte diverse Frauenzeitschriften durch und beruhigte mich damit, daß man nicht alles nachmachen muss, was man so sieht.