Deutschland sucht den Super-P.C.ler

Ich mag Deutschland. Wirklich! Blühende Landschaften wohin man schaut und alles ist so schön geordnet. Kulturell können wir uns auch wieder sehen lassen, seitdem unser ehemaliger Bundeskanzler eine durchaus erquickliche Symbiose aus Kunstinteresse und Berlinästhetisierung an die Spree und sich selbst lüpperisiert in den Bundestag stellte. Und Angela Merkel? Die wird mittlerweile sogar von des deutsch-solventen Lieblingsdesigners und bekennendem Potsdamer, Wolfgang Joop, wegen ihres Outfits in den Himmel über Berlin gelobt. Halten wir also fest: Wir sind Kultur, wir sind schick, Deutschland hat Brüste und das ist auch gut so.
Deutschland hat den Trend zur Randgruppe entdeckt. Wer hätte schließlich noch vor zehn Jahren seine Sozialhilfe darauf verwettet, daß wir jemals eine ostzonale Dragqueen als auch noch unverheirateten Kanzlerich in die Welt schicken oder gar einem Schwulen das Ruder einer Großstadt anvertrauen. Dummerweise bringt das Anerkennen des Könnens ehemals belächelter Bevölkerungsrandgruppen aber auch den Drang zur allumfassenden Political Correctness mit sich. Soziale Brennpunkte heißen nun nicht mehr „Ghetto“, sondern „städtische Randbezirke mit deutlichem Migrationshintergrund“, Schwule und Lesben sind „andere Lebensentwürfe Verfolgende“ und wenn man trotzdem an die sprachlichen Grenzen Toleranistans gerät, gereicht die Bezeichnung „Prekariat“ zu einer neuen, erfrischenden Debatte über die bestmöglichste Art sich auszudrücken, ohne jemanden dabei vor den Kopf zu stoßen. Zumindest darin sind wir mittlerweile Weltmeister.
Toleranz ist eine feine Sache, wenn sie nicht mit Ignoranz verwechselt wird.
Um dem im Sommer nach Deutschland strömenden Fan-Volk zu demonstrieren, daß wir alle und jeden total lieb haben, der uns kurzzeitig in unseren schönen Landen besucht, MUSSTEN wir folgerichtig mit einem weltweit nicht zu überhörenden Gazetten-Aufschrei die Existenz von NO-GO-Areas abstreiten. Wir doch nicht! Die Mehrheit des deutschen Volkes usw.
Die Minderheit des deutschen Volkes – die, die Deutscher nicht sein können, glaubt man ihren „White-Power“-Shirts - jedoch lachte sich in die Achsel des ausgestreckten rechten Armes und wusste: Zivilcourage ist des Deutschen Sache nicht. Wusste auch: „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei“.
Und so war es denn auch. Wir haben weltmeisterlich abgekackt. Nicht nur im Fußball, sondern auch dabei, diesem Gesindel ohne dem WM-bedingten auf-die-Bratwurstfinger-Schauen ehemaliger, alliierter „Befreier“ die Stirn zu bieten.
So sitzt man also im ÖVN der frisch akkreditierten Wissenschaftstussi und Platz 3 inne habenden Aufschwungsstadt Jena und denkt sich nichts Böses. Man ist ja hier so herrlich verschont vom „Gesindel“, zumindest wenn man seinen linken Gesinnungstextilien zugunsten überteuerter Fashion-Victim-Devotionalien entwachsen ist. Dachte ich. Bis ich in den Bus einstieg und dort zwei schrankartig gebaute, kurzbehaarte Menschen fand, die ihre Umgebung mit einem Best-Of-Nazi-Mucke beschallten und sich ganz einhellig darüber austauschten, welche „Vorteile“ das 3. Reich für den ein oder anderen Anders-Seienden bereit hielt. NATÜRLICH war der Teil politisch-korrekter Studenten im Bus ganz empört darüber. So empört, daß es ihnen glatt die Sprache verschlug. Und überhaupt sollte man sich ja eigentlich nicht einmischen, nachher bekommt man statt des ebenfalls im Bus sitzenden Afrikaners noch selbst eins auf seine stirngerunzelte, Abschätzigkeit zumindest demonstrierende Visage.
Der Afrikaner hatte es gut. Der verstand GAR NICHTS. Ich indes schon. Und weil es mir ziemlich auf die Nerven ging, deren Plattitüden und Dummheiten hören zu müssen, bat ich sie in einem freundlichen Ton, doch bitte die Musik leiser zu machen und mich mit ihren Theorien zu verschonen. Es entspann sich ein wirklich fruchtreiches Gespräch über mein Aussehen, etwaige sexuelle Vorlieben türkischen Männern gegenüber, über Plastiktüten zur Mundknebelung und mich als weibliches personifiziertes Geschlechtsteil: Man ist ja immer daran interessiert, was andere von einem halten! Mir wurde ganz nett auch eine nähere Bekanntschaft mit einem aus dem Rucksack blitzenden stockartigem Ding angeboten. Ich musste ablehnen. Ich hatte leider andere Pläne für die Nachmittagsgestaltung.
Nun könnte man annehmen, daß sich spätestens an dieser Stelle irgend jemand im Bus ritterlich in die mich desavouierende Situation einmischte, doch weit gefehlt. Wahrscheinlich suchten sie einen Rest an Zivilcourage in einem inneren Exil und schauten deshalb so meditierend auf den Boden. Vielleicht schrieben sie auch in Gedanken einen höchst korrekten Blogeintrag vor oder überlegten sich, wie erzählenswert diese Geschichte denn später bei den bis zum Erbrechen politisch-empörten Freunden sei. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich mich beim Aussteigen in Gedanken für die Unterstützung meiner Mitmenschen bedankte.
Opfer gewesen sein – in dem Fall glücklicherweise nur auf verbaler Ebene – ist ein beschissenes Gefühl. Und möglicherweise sollte man sich mal, statt sich bloß über „rechts“ zu echauffieren, vergegenwärtigen, wie es ist, wenn man einfach nur noch Angst hat. Vielleicht ist dies das Quentchen, was am Eintreten für Andere fehlt: daß man sich nicht in die Lage anderer versetzen kann oder will. Daß man sich selbst vorn anstellt, statt aus reiner Sensibilität und Respekt vor den Empfinungen seines Gegenübers diesem das Gefühl, Opfer zu sein, ersparen möchte.
Halten wir also fest: Wir sind oberflächlich, wir sind ignorant, Deutschland hat ein zwischenmenschliches Problem und das ist schlecht so!
pulsiv - 29. Mär, 09:05

hui...

sie sind verdammt tapfer, echt! in der hinsicht hat man es als frau aber dahingehend besser, da man eben nur mit verbalen schlägen zu rechnen hat. mischst du dich als kerl ein, riskierst du haue. und nicht nur 1x. und das riskiere ich auch nicht im namen der zivilcourage. so leid es mir tut.
für schlagende argumentationen bin ich gern zu haben... aber sie habens ja grade wieder bestätigt: es ist schlicht und einfach NICHT MÖGLICH mit solchen evolutionsverweigerern zu reden.

(pssst: schwule... nicht schule!)

lesof - 29. Mär, 10:50

ganz ehrlich? ich krieg lieber n paar auf die schnauze,als daß ich zusehe, wie jmd. erniedrigt wird.ich verstehe es aber auch, wenn man keins auf die nase haben will.das problem liegt aber nicht da,sondern da wo es darum geht, ob du dich auf helfende mitmenschen verlassen kannst. wenn JEDER also denkt: ich misch mich nicht ein,weil ich keins auf die fresse will, braucht man sich über krankenhausreif geprügelte ausländer nicht wundern.
DonParrot - 29. Mär, 11:48

Wie wahr, wie wahr, Frau Lesof! Wir sind schon fast wieder soweit wie 1932. Statt das Alle aufstehen und dem braunen Gesindel das Maul verbieten sitzt jeder nur da und denkt: 2Hoffentlich krieg ich nicht was auf die Schnauze."

Und der Erfolg: "Zwei armseligen entfernt Humanoiden gelingt es, eine ganze Gruppe angeblich zivilisierter Menschen einzuschüchtern. Zum Kotzen! Ich bin stolz auf Sie, dass Sie sich diesem Mob entgegengestellt haben.

Und, @Pulsiv: Bei diesem Gesindel muss auch Frau befürchten, geschlagen zu werden. Doch wenn man lieber schweigt, wird's in den kommenden Jahren noch viel finsterer. Es ist höchste Zeit, aufzustehen.

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